Nasrin Sotoudeh: Ich weiche nicht!

Die iranische Anwältin Nasrin Sotoudeh erhält den HeldinnenAward 2023 der Alice-Schwarzer-Stiftung.
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Botschaft von Nasrin Sotoudeh zur Verleihung des HeldinnenAwards

Liebe Alice Schwarzer und Stiftungsvorstand,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gäste,

ich grüße Sie aus Iran, dem Land, in dem seit über einem Jahr die Bewegung „Woman, Life, Freedom“ (Frau Leben Freiheit) existiert und es ist noch lange nicht vorbei! Der Widerstand der freien Frauen gegen die Männer und Frauen, die der Tyrannei in unterwürfigem Gehorsam mit Gewalt dienen, geht weiter.

Auch in Iran ist wie in vielen Ländern des Mittleren Ostens die Unterdrückung der Frauenrechte integraler Bestandteil der Diktatur. So haben die Taliban in Afghanistan, kaum waren sie an der Macht, die Bildung von Frauen verboten. In Saudi-Arabien war es Frauen jahrelang nicht erlaubt, Auto zu fahren. Und im Iran festigte das Regime schon kurz nach der Revolution seine Macht durch die Einführung der Zwangsverschleierung.

Eine Tyrannei, die auf der Apartheid zwischen den Geschlechtern basiert, macht den Körper der Frau zum permanenten Objekt von Vorschriften und Konflikten. Um also die Demokratie in solchen Gesellschaften zu etablieren, müssen wir bei den Konzepten ansetzen, die der Tyrannei zugrunde liegen: nämlich der Unterdrückung der Körper der Frauen und der Freiheit des ganzen Menschen.

Seit Jahrzehnten stemmen sich die Frauen in Iran gegen eine Diktatur, deren Macht sich an ihren Körpern manifestiert, was mit der Zwangsverschleierung vor 44 Jahren begann. Diese Dynamik schildert Alice Schwarzer 1979 in ihrer Reportage „Die Betrogenen“. Sie und die Gruppe von Frauen, die in diesen bewegten Tagen des Aufruhrs in Iran waren, das „Komitee Simone de Beauvoir“, veröffentlichten damals ihre Erfahrungen in unmissverständlicher Klarheit. Dieser Kampf der Frauen geht bis heute.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich Alice Schwarzer meine tiefe Dankbarkeit aussprechen, dass sie sich schon damals diesem so existenziellen Thema in Iran gewidmet hat. Was sie 1979 in ihrer Reportage berichtet, ist für mich zutiefst bewegend. Wenn ich das lese, werden die vergangenen Jahre für mich lebendig. Jahre, denen wir jüngere Generationen zunächst mit einem gewissen Unverständnis begegneten.

Nasrin Sotoudeh mit ihrem Ehemann, Reza Khandan, ihrem Sohn Nima und Tochter Mehraveh. - Foto: IMAGO
Nasrin Sotoudeh mit ihrem Ehemann, Reza Khandan, ihrem Sohn Nima und Tochter Mehraveh. - Foto: IMAGO

Es ist eine große Ehre für mich, diesen HeldinnenAward zu erhalten. Damit zeichnet die Alice-Schwarzer-Stiftung die ganze Bewegung „Frauen Leben, Freiheit“ aus. Dieser Award ist eine Anerkennung für meinen Kampf gegen die Zwangsverschleierung, der vor 13 Jahren begann, als ich im Gefängnis war, und für meine Rolle als Verteidigerin der so genannten „Töchter der Revolutionsstraße“, die beispiellosen Mut bewiesen haben. Der Preis bezeugt auch all jenen Anerkennung und Respekt, die im Namen von „Woman, Life, Freedom“ auf die Straße gehen.

Lassen Sie mich hinzufügen, dass jede Auszeichnung auch eine Verantwortung für den Preisträger mit sich bringt. Die „Mahsa-Bewegung“" auf der ganzen Welt hofft, dass wir IranerInnnen endlich, nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Ungerechtigkeit, siegen werden. Und natürlich bedeutet der Preis auch eine Verantwortung für mich persönlich.

Nasrin Sotoudeh mit Regisseur Jafar Panahi bei den Dreharbeiten zu "Taxi Teheran".
Nasrin Sotoudeh mit Regisseur Jafar Panahi bei den Dreharbeiten zu "Taxi Teheran".

Reden wir von den jüngsten Opfern. Der Pionier des Neuen Iranischen Films, Daryoush Mehrjui, wurde im Alter von 83 Jahren zusammen mit seiner Frau Wahideh Mohammadifar im Oktober 2023 ermordet. Die Leichen des Ehepaars wurden mit zahlreichen Stichwunden von der gemeinsamen Tochter am 14. Oktober 2023 in ihrem Haus in Teheran entdeckt. Der Tod von Mahsa Amini am 16. September 2022 löste die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung aus. Armita Garavand starb am 28. Oktober. Nicht gezählt die unzähligen Verletzten, Erblindeten, Getöteten und Hingerichteten des vergangenen Jahres. All das hat die Blicke der Öffentlichkeit noch stärker auf die „Mahsa-Bewegung“ gelenkt.

Ich denke, wir sollten in den Straßen, der U-Bahn, den Parks, in den Kultur- und Einkaufszentren, kurz: an allen öffentlichen Orten wachsam sein. Wir müssen den jungen Menschen beistehen, wenn sie Aggressionen ausgeliefert sind, und sie verteidigen, wenn ihre Rechte verletzt werden.

Ich möchte auch meine tiefe Besorgnis über den Krieg in Israel und Gaza zum Ausdruck bringen. Geiselnahmen von Zivilisten und Extremismus, der das Leben unschuldiger Menschen nicht wertschätzt, sind bar jeder Vernunft; ganz gleich von welcher Seite sie ausgehen. Die Bewohner dieser Region wollen keinen Krieg im Namen von Religion und Ethnie oder unter irgendeinem anderen Vorwand.

Abschließend möchte ich noch einmal den Mut von Armita Garavand betonen. Sie hat ihr Leben für die Freiheit geopfert - damit die Welt endlich begreift, dass die Zwangsverschleierung nicht Teil der iranischen Kultur ist.

Frau! Leben! Freiheit!

Nasrin Sotoudeh

Das Video zur Verleihung des HeldinnenAwards der Alice-Schwarzer-Stiftung schickte Nasrin Sotoudeh wenige Tage vor ihrer Verhaftung. Am Tag vor ihrer Verhaftung sandte sie diese aktualisierte Version ihrer Rede per Email.

Die komplette Aufzeichnung der Veranstaltung, 72 Minuten, steht auf youtube.
Weitere Informationen auf der Website der Alice-Schwarzer-Stiftung

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