„Es ist immer noch ein Tabuthema!“
Sehr verehrte Frau Greiner, Sie werden heute, gemeinsam mit Frau Dr. Strunz, von der Alice Schwarzer Stiftung für Ihr jahrelanges zumeist ehrenamtliches Engagement mit dem Heldinnen Award ausgezeichnet.
Die Bezeichnung als „Heldin“ mag im deutschen Sprachgebrauch zunächst etwas erstaunen, denn darunter verstehen wir traditionell zumeist kriegerische oder jedenfalls durch körperlichen Einsatz erreichte Erfolge einzelner Frauen. Die Alice-Schwarzer-Stiftung hat sich jedoch vorgenommen, diesen Begriff auf Frauen anzuwenden, die sich mutig und gegen viele Widerstände für die Rechte von Frauen in der Politik, der Gesellschaft, als Autorin oder als Journalistin oder in sonstiger Weise einsetzen.
Und Sie, verehrte Frau Greiner, haben sich durch ihren vielfältigen Einsatz für die Rechte von Mädchen und Frauen, die eine Genitalverstümmelung erlitten haben, große und nachhaltige Verdienste erworben.
In Eldoret, im Westen von Kenia, geboren, einer Stadt von mehr als einer halben Million Einwohnern, zog es Sie 1986 der Liebe wegen nach Deutschland. Neben der Erziehung ihrer fünf Kinder begannen Sie rasch mit Aktivitäten der Erwachsenenbildung über afrikanische Kultur und – nicht zu unterschätzen – Kochkunst.
Parallel zu diesen wichtigen und auch schönen Themen wurden Sie mit den vielen Problemen der Integration afrikanischer Menschen konfrontiert. Insbesondere die Nöte junger Frauen ließen Sie nicht los, und sie begannen, systematisch an einer umfassenden Unterstützung für die häufig stigmatisierten und traumatisierten zu arbeiten.
Zunächst in Frankfurt, dann in Köln arbeiteten Sie im Mädchenhaus für Mädchen in Not und wurden 1996 Leiterin des Afrikabereichs der „Agisra“. Das ist eine autonome, feministische Informations- und Beratungsstelle von und für Migrantinnen, geflüchtete Frauen, Schwarze Frauen im Besonderen und all‘ diejenigen, die von Rassismus betroffen sind. 1999 wurden Sie Trainerin für interkulturelle Kompetenz bei der hessischen Polizei. Seit 2001sind Sie bei der Stadt Frankfurt als Sozial- und Gesundheitsberaterin für Menschen aus Afrika verantwortlich. Hier erhielten Sie 2002 auch den Integrationspreis der Stadt Frankfurt. Und nun könnte noch mehr, viel mehr Aktivitäten aufzählen, die Sie im Laufe Ihres bewundernswerten Engagements innehatten und teilweise noch haben. Erwähnen könnte ich auch viele Auszeichnungen, die belegen, dass Ihr Einsatz nicht unbemerkt geblieben ist.
Und dennoch würde Sie das nicht klar genug kennzeichnen.
Was Sie auszeichnet, ist vielmehr Ihre Standhaftigkeit und Ihr Beharrungsvermögen, sich in einem schwierigen, teilweise auch rassistischen Umfeld, dem Sie selbst als Person immer wieder ausgesetzt sind, mit Elan und bewundernswerter Hartnäckigkeit um die jungen Frauen zu kümmern, die es alleine, ohne Ihre Hilfe nicht schaffen würden, sich in unserer Gesellschaft zu integrieren. Ja, die meisten würden sich ohne Ihre Beratung, Ihren auch psychologischen Beistand alleingelassen fühlen. Allein mit einem tabuisierten Thema. Sie hätten Angst und würden deshalb über ihre Scham und ihre Verletztheit nicht sprechen können und häufig allein deshalb ihre ihnen zustehenden materiellen Rechte gegenüber dem Staat und ihre gesellschaftspolitischen Rechte gegenüber der Mehrheitsgesellschaft nicht einfordern können.
Diese Diskriminierung, die bei schwarzen Frauen häufig eine doppelte ist, führt zur Verdrängung des Problems im öffentlichen Diskurs, wenn es einen solchen überhaupt gibt. Frau Greiner sagt zur Frage, ob diese Diskriminierung eines Tages überwunden werden kann oder gar völlig verschwinden wird: „Diskriminierung weiß ich nicht, wie man das abschaffen kann. Aber für mich ist Diskriminierung ein Hindernis für Integration. Solange es Diskriminierung gibt, können wir nicht von Integration reden, weil diese zum Scheitern verurteilt ist. Da gibt es Barrieren, Grenzen vor Dir, die Dich daran hindern, dass Du weiterkommst.“
Eine an den realen Gegebenheiten orientierte und mit viel Erfahrung gesättigte Antwort, einer Frau, die weiß, wovon sie spricht.
Schließlich versuchen Sie, durch zahlreiche Publikationen auf die Lage von afrikanischen Frauen aufmerksam zu machen.
Denn bei der Genitalverstümmelung handelt es sich auch in Deutschland immer noch um ein Tabuthema, das nicht einmal am dafür eingerichteten Tag, dem 6. Februar, eine besondere mediale Aufmerksamkeit erfährt. Deshalb ist der jahrelange Einsatz von Frau Greiner umso höher einzuschätzen und zu würdigen.
Sehr geehrte Frau Greiner,die Alice-Schwarzer-Stiftung möchte durch die Verleihung des Heldinnen Awards dreierlei:
- zum einen Ihnen sehr herzlich für Ihre wichtige Arbeit öffentlich und vernehmbar Dank sagen. Wir würdigen mit der Verleihung Ihren unermüdlichen jahrzehntelangen Einsatz für die benachteiligten Frauen und Mädchen.
- Zweitens hoffen wir, dass die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses uns alle angehende Thema stärker als bislang gelenkt wird
- Schließlich soll die Verleihung eine moralische und nachdrückliche Ermutigung darstellen, damit Sie Ihren Mut und Ihre Lebenszeit weiterhin für die Menschen einsetzen, die sich selbst alleine nicht ausreichend helfen können.
Ich danke Ihnen für Ihre großartige Arbeit und gratuliere Ihnen von Herzen im Namen unserer Stiftung zum Heldinnen-Award!
PROF. DR. JÜRGEN WILHELM
Verleihung des HeldinnenAwards am 25. Oktober 2024 im Roten Rathaus Berlin.