"Das sind keine Geschlechterfragen"
De Lapuente: Frau Schwarzer, wir haben seit letztem Jahr ein Selbstbestimmungsgesetz – aber junge Leute müssen bei derzeitiger Marschrichtung der Außenpolitik immer noch fürchten, gar nicht mehr so selbstbestimmt darüber entscheiden zu dürfen, ob sie beim Militär tätig werden wollen oder nicht. Kurz gefragt: Ist das Selbstbestimmungsgesetz zur Selbstbestimmung des eigenen Geschlechtes in erster Linie nicht ein Ablenkungsmanöver, das ganz zentrale Fragen unseres Zusammenlebens einfach mal ins zweite oder dritte Glied zurückstellt?
Schwarzer Das glaube ich nicht. Beides ist eine ernste Sache: die Remilitarisierung und die Transideologie. Auch das Transgesetz stellt »zentrale Fragen unseres Zusammenlebens« in Frage, nämlich indem es die sehr realen Kategorien Mann/Frau einfach leugnet.
Junge Männer werden jetzt von Boris Pistorius angeschrieben – von seinem Ministerium, um genauer zu sein. Sie müssen sich dazu äußern, warum sie nicht dienen wollen. Junge Frauen oder Diverse sind davon befreit. Halten Sie das für Gleichberechtigung?
Nein. Ich finde die umfassende Remilitarisierung Deutschlands bedrückend. Und ja, auch mir scheint hier die Unterscheidung nach Frauen und Männern falsch. Krieg und Frieden sind keine Geschlechterfragen, sondern Menschenfragen. Doch ich habe eine sehr einfache Lösung für das Problem: Ich bin für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für beide Geschlechter. Männer wie Frauen können dann wählen, ob sie zum Militär wollen oder in einen sozialen Dienst. (Letzteres wäre meine persönliche Wahl.)
Vermutlich werden wir beide gewisse Dinge nicht exakt genauso sehen – dennoch sprechen wir miteinander. Könnten Sie mit der Transgesetzgebung und den Aktivisten – auch in Politik und Medien – besser umgehen, wenn sie weniger für sich in Anspruch nähmen, die einzige Wahrheit für sich gebucht zu haben?
Es geht nicht um die "einzige Wahrheit". Es geht um die Realität. Im Gegensatz zu weiten Teilen der Politik, zumindest in der vergangenen Ampel, bin ich keine Realitätsverleugnerin. Die sind zurzeit leider in der Kriegsdebatte wie in der Transdebatte sehr verbreitet: Fakt ist: Es gibt viele Geschlechterrollen – und es sind wir Feministinnen, die das als erste thematisiert haben – aber es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Das ist nicht nur wissenschaftlich erwiesen, sondern auch eine gerade für Frauen oft bittere Realität in dieser Männerwelt. Und es gibt daraus auch kein Entkommen. Die sogenannte »Geschlechtsangleichung« ist rein äußerlich: Hormongaben, Brustabnahmen bzw. Genitalverstümmelungen. Innerlich aber bleibt der Körper männlich oder weiblich, was sich übrigens auch in der Gendermedizin niederschlägt. Die ganze Transideologie ist übrigens ein besonders schwerer Fall kultureller Aneignung. Dass das noch niemand gesagt hat … Das ist, als würde ein Weißer einfach eines Tages erklären: Ich bin schwarz. Aber dieser Mensch hat bis dahin das relativ privilegierte Leben eines Weißen geführt, nicht zuletzt auf Kosten der Schwarzen. Interessant wären in einem solchen Fall die unterschiedlichen Erfahrungen eines Menschen, der in beiden Geschlechtern lebt, aber nicht die Leugnung des bisherigen Lebens.
Sie erkennen in dieser Agenda einen Angriff auf die erkämpfte Gleichberechtigung der Frauen, wonach man das Frausein überwinden kann – habe ich das, wenn vielleicht auch etwas zu plakativ, aber doch richtig verstanden, Frau Schwarzer?
Die Überwindung des Frauseins ist eine feministische Utopie. Aber wir wollen keine Männer werden, sondern Menschen. Die Leugnung des weiblichen Körpers (Geburtsfähigkeit etc.) aber und die der Lebensrealität der Frauen auf der ganzen Welt ist Unsinn. Eine Frau kann ja mal in Kabul zu den Taliban sagen: Ich definiere mich als Mann. Oder im Berliner Park zu dem Vergewaltiger.
Die abgewählte Bundesregierung hat den Errungenschaften des Feminismus mit ihrer Transagenda eine Absage erteilt. Was ist aus feministischer Sicht von einer etwaigen neuen Regierung unter Kanzlerschaft Friedrich Merz‘ zu erwarten?
Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass unsere Wahlprüfsteine auf EMMAonline stehen. Den Antworten der Parteien noch vor der Wahl ist zu entnehmen, was sie planen.
Darf ich mir eine indiskrete Frage erlauben: Ist Ihnen in der Umkleidekabine schon jemand begegnet, den man eher in einer Männerumkleide vermutet hätte?
Ich bin kaum in Umkleidekabinen. Aber was bezwecken Sie mit dieser Frage? Dass es nicht relevant sei, ob Männer in Frauenräume eindringen können? Lesen Sie dazu nie EMMA und all die anderen kritischen Frauen?
Sie setzen sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Frauen ein. Transsexuelle gab es auch schon in den Anfangsjahren Ihres Wirkens. Wenn Sie zurückblicken: Wie war das Verhältnis zwischen Frauen im Emanzipationskampf und Transsexuellen früher? War man da auch schon gespalten und feindete sich an?
In der Tat, ich setze mich seit 1983 öffentlich für die Rechte echter Transsexueller ein und tue das weiterhin. Das kann man nachlesen. Damit war ich lange ziemlich allein und wurde auch von der Mehrheit der Frauenbewegung scharf kritisiert. Unter »echten« Transsexuellen verstehe ich Menschen, die psychisch so stark im Konflikt sind mit ihrem Geburtskörper, dass sie manchmal bis zur Selbstverstümmelung gehen würden, um dem zu entfliehen. Leider aber ist das nicht machbar. Das ist ähnlich wie bei Magersüchtigen, die einen solchen Hass auf den eigenen Körper haben, dass sie sich zu Tode hungern. Dafür gibt es in beiden Fällen natürlich Gründe. Die müssen geklärt werden, bevor man irreversible Fakten schafft. Etwas ganz anderes sind die Zehntausende von Jugendlichen in der westlichen Welt, davon 80 Prozent Mädchen, die seit ein paar Jahren plötzlich glauben, sie seien im »falschen« Körper. Aber es gibt keine richtigen oder falschen Körper. Es gibt nur den, den wir haben. Das sind Mädchen, die gerne Fußball spielen oder sich in ihre beste Freundin verlieben. Denen sagt man jetzt: Du willst keine Frau sein? Dann bist du eben ein Mann! Und los geht es mit lebenslangen Hormonen (die Pharmaindustrie freut sich!) und Brustamputationen oder sogar mehr (unverantwortliche Ärzte freuen sich!). Binärer geht es kaum: Zwei Schubladen für zwei Geschlechterrollen. Echt reaktionär. Stattdessen sollten wir diesen Mädchen sagen: Wo ist das Problem? Du bist ein freier Mensch. Du kannst dich sogenannt "weiblich" oder "männlich" verhalten, ohne deinen Namen zu wechseln oder gar deinen Körper zu verstümmeln.
Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei Ihnen bedanken: Die EMMA setzte sich in den letzten Jahren sehr für den Frieden ein. Das war in den letzten drei Jahren nicht selbstverständlich. Dass die Befürworter der Transgesetzgebung auch glühende Verfechter der Eskalation gegenüber Russland sind: Halten Sie das für Zufall? Oder wittern Sie da eine Konsistenz im Weltbild, die beides begünstigt oder gar bedingt?
Ja. Beide, die Kriegsjubler und die Transjubler, haben etwas ganz Zentrales gemeinsam: Sie sind reine Ideologen und ignorieren die Realität. Nun schlägt die zurück, in Form der populistischen, rechten Bewegungen. Auch problematisch.
Weiterlesen: Alice Schwarzer/Chantal Louis (Hrsg.): Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift (Kiwi TB)