"Wir Feministinnen sind angetreten für eine Befreiung vom Geschlechterdiktat – und nun das«
De Lapuente: Liebe Frau Schwarzer, Sie sind eine der wenigen Stimmen, die das Gleichstellungsgesetz kritisieren. Im Medienbetrieb nimmt man eine stark tendenziöse Haltung pro Gleichstellungsgesetz wahr – die EMMA sei hier mal ausgenommen. Woran liegt es, dass ein solch drastisches Gesetz kaum mediale Kritik erfährt?
Schwarzer: Ich fürchte, die meisten Befürworter und Befürworterinnen meinen es sogar gut. Sie sind sich einfach nicht über die Dimension und die Folgen dieses sogenannten »Selbstbestimmungsgesetzes« im Klaren. Schon der Begriff. Welche Werbeagenturen denken sich eigentlich solche Vernebelungskerzen aus? Angeblich geht es nur um juristischen Beistand für die in der Tat bis vor kurzem extreme Minderheit der echt Transsexuellen. Also Menschen, die ein so verstörtes Verhältnis zu ihrem Körper haben, dass sie sogar die dramatischen gesundheitlichen Folgen von Hormongaben und »geschlechtsangleichende« Operationen in Kauf nehmen, um das Geschlecht zu wechseln. Das Tragische ist: Beides sind nur Maskeraden. Der Mensch kann sein biologisches Geschlecht gar nicht wechseln, nur die kulturelle Geschlechtsrolle und den Personenstand. Doch bei mir verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dass selbst die Frauenministerin und der Justizminister den Unterschied zwischen sex und gender, zwischen biologischem Geschlecht und kultureller Geschlechterrolle, gar nicht kennen.
Sie gehören, wie schon gesagt, zu denen, die der allgemeinen Aufbruchsstimmung starke Bedenken entgegensetzen. Nicht wenige – ich denke da an jenen Herrn vom ZDF, der in seiner Sendung Journalist spielt, aber Aktivist ist – glauben nun, dass Alice Schwarzer und der Feminismus, für den sie steht, längst überholt seien. Gehen »Frauenthemen« jetzt in Transdebatten auf? Und kann der Feminismus jetzt also weg? Übrigens: unser Autor Kai Preuß schrieb gestern, dass die Regenbogenflagge – die er begrifflich als Sinnbild der Trans-Bewegung nutzt – »vor allem nicht staatsgefährdend« sei. Das sei unter anderem der Grund, warum sie politisch instrumentalisiert würde. Ist da was dran?
Ja, das steckt tatsächlich auch und vielleicht vor allem hinter dieser im Westen weltweiten Offensive der Transideologen: Das Geschlecht wird relativiert. Die Frauenfrage wird sozusagen abgeschafft. Sie soll keine biologische Realität mehr sein und vor allem auch keine soziale. Aber Sie können ja mal versuchen, in Kabul einem Taliban zu sagen: Ich bin gar keine Frau, ich definiere mich als Mann … Also: Dieses Transgesetz leugnet juristisch die biologischen und sozialen Realitäten. Frauen gibt es nicht mehr bzw. eine Frau kann jeder sein – oder auch nicht. Also wäre auch der Feminismus überflüssig. Man überlege sich das einmal: Eine politische Theorie, die das mindestens 5000 Jahre alte Patriarchat infrage stellt und hierzulande erfolgreich erschüttert hat, soll nach 50 Jahren obsolet sein. Da lacht sich natürlich das Patriarchat ins Fäustchen. Stichworte: Gender Pay Gap, Familienarbeit oder sexuelle Gewalt.
Sie haben dem Spiegel in einem aktuellen Interview gesagt, dass es »Mode sei, Trans zu sein«, eben auch, weil es eine Provokation darstelle. Ist das Nichtbinäre vielleicht vergleichbar mit dem »No Future« der Punks oder den langen Haaren der jungen Männer, die man verächtlich Gammler nannte?
Ja, so ist es. Es ist eine Provokation der Jugend geworden. Doch die Transideologie stellt die feministische Prämisse einer Dekonstruktion der Geschlechterrollen – was nicht identisch ist mit der Leugnung des biologischen Geschlechts! – auf den Kopf. Statt eine Befreiung aus den Schubladen anzustreben, werden nun immer starrere Geschlechterrollen propagiert. Ein Mädchen, das gerne Fußball spielt oder sich auch schon mal mit der besten Freundin küsst? Die kann ja nur ein Junge sein. Wie absurd! Wir Feministinnen sind angetreten für eine Befreiung vom Geschlechterdiktat und für eine freie Sexualität – und nun das. Das krasse Gegenteil. Mann oder Frau! Und alles immer schön etikettiert. Und nichts dazwischen. Binärer geht nicht. Aber leider fallen gerade die rebellischen Mädchen, die keinen Bock haben, sich dem Rosa-Terror zu beugen, jetzt darauf rein, die sogenannten Tomboys. Doch statt denen zu raten, personenstandsrechtlich ein »Mann« zu werden, sollte man ihnen sagen: Du bist frei! Du kannst dir auch als biologisch weiblicher Mensch alle Freiheiten nehmen, die man bisher nur Männern zugestanden hat – und umgekehrt.
Dem Spiegel ebenfalls gesagt haben Sie, dass mehr Mädchen das Geschlecht wechseln wollten als Jungen. Ist das Phänomen, dass gerade die Mädchen »fluchtartig« ihr Geschlecht wechseln, ein Ausdruck der wieder stärker stereotypisierten Geschlechterrollen in Deutschland? Also: Ist es unter Umständen besonders unattraktiv in Deutschland als Mädchen aufzuwachsen und eine Frau zu sein?
Genau so ist es. Erstens war Deutschland immer schon im Westen das Schlusslicht in Sachen Frauenemanzipation. Zweitens leben wir in Zeiten des Umbruchs, der verschärften Widersprüche. Einerseits können Frauen auch Kanzler werden oder zum Mond fliegen, andererseits wird den jungen Frauen mehr denn je gepredigt, das Wichtigste sei, begehrenswert zu sein für Männer. Und schlank. Und schön. Und ewig jung. Siehe die Mode und die Influencerinnen, die für Konsum Glück versprechen. Das ist natürlich zerreißend. Es ist eine Sackgasse, aus denen ein so geprägter Mensch kaum wieder rauskommt.
Geborene Männer, die zu Frauen wurden, müssen laut Selbstbestimmungsgesetz dennoch in den Krieg, falls es dazu kommen sollte. Schutzräume für Frauen sollen für geborene, dann aber transformierte Männer verschlossen bleiben: Kann es sein, dass das Selbstbestimmungsrecht am Ende gar nicht so viel verändert?
Das Selbstbestimmungsgesetz in der Form würde den Begriff Frau juristisch relativieren, also obsolet machen. Keine Statistiken nach Geschlecht, keine Gendermedizin zum Beispiel mehr. Doch vor allem junge Mädchen würde es verstärkt dem gefährlichen Trugschluss aussetzen, es sei die Lösung im Patriarchat, ein »Mann« zu werden statt eine freie Frau. Das ist ernst.
Frau Schwarzer, die Befürworter des Gesetzes machen es in ganz großen Dimensionen: Sie nennen das Gesetz einen historischen Wurf – das letzte historische Gesetz der SPD und der Grünen war die Modifikation des SGB II, im Volksmund Hartz IV genannt. Was daraus wurde, wissen wir mittlerweile. Sehen Sie das beim Selbstbestimmungsgesetz auch so kommen?
Mir drängt sich da eher der Vergleich mit dem Pädophilie-Paragraphen und dem Prostitutionsgesetz auf. 1980 wollten SPD und FDP doch tatsächlich den Paragraphen streichen, der Kindesmissbrauch unter Strafe stellt. Tatsächlich hat nur das Engagement von EMMA damals verhindern können, dass das nicht passiert ist. Wir haben aufgeklärt, was die Folgen wären, und die Gesellschaft alarmiert. Dem folgte in den 80er und 90er Jahren die grüne und Medien-Kampagne des »Missbrauchs vom Missbrauch«. Da versuchte man, besorgte Sozialarbeiterinnen und Mütter von Opfern einzuschüchtern und mundtot zu machen, indem man behauptete, die Geschichten vom Kindesmissbrauch seien überwiegend erfunden. Wir wissen es inzwischen besser. 2002 wurde von Rot-Grün das fatale Prostitutionsgesetz verabschiedet. Auch damals hat EMMA noch vor Verabschiedung gewarnt und seither immer wieder umfassend aufgeklärt. Das Gesetz hat Deutschland dann zur »Drehscheibe des Frauenhandels in Europa« gemacht, Zuhältern und Menschenhändlern Tor und Tür geöffnet und die Frauen in der Prostitution noch mehr ausgeliefert. 95 Prozent kommen aus dem Ausland und sind Armutsprostituierte. Das haben inzwischen sogar frühere Befürworter und Befürworterinnen zugeben müssen. Aber über 20 Jahre lang verbreiteten vor allem die Medien die Legende von der »Freiwilligkeit« der Prostitution. Ein gesellschaftliches Problem wurde individualisiert. Ganz wie bei der Transsexualität. Der einzig richtige Schritt wäre jetzt, Prostituierten beim Ausstieg behilflich zu sein und den Kauf von Frauen zu bestrafen. So haben es Länder wie Schweden, Frankreich oder Israel längst gemacht, Das würde nicht nur die Nachfrage stoppen, sondern auch die Menschenwürde der Geschlechter schützen. Wir reden hier also von der Sexualpolitik – von der Abtreibung über die Prostitution bis zur Vergewaltigung – dem dunklen Kern des Machtverhältnisses der Geschlechter. Und da waren und sind unsere schärfsten Gegner tatsächlich immer wieder diese Pseudo-Progressiven.
Haben diese Pseudo-Progressiven denn die Deutungshoheit? Es drängt sich – wenn man die Menschen im Lande aus der Nähe kennt – eher der Eindruck auf, dass die sich in einer Blase tummeln.
Stimmt, es ist eine Blase. Aber diese Blase sitzt heute nicht mehr nur in alternativen WGs, sondern inzwischen auch an entscheidenden Stellen in den Medien und in der Politik, bis in die Spitzen der Regierung.